1)
Hexenherz – Goldener Tod
Ich bekomme irgendwas zu greifen, irgendeinen winzigen Rest
Pflanzenmagie. Ausgerechnet. Ich versuche, sie von innen um mein Bein zu
knoten, aber es will nicht, wie es soll und kann nicht, wie es muss und
irgendwie ist alles doof.
Aua!
Irgendeine zieht an mir. Leider an dem falschen Bein.
„Nimm das andere“, will ich sagen, „das spüre ich nicht mehr“, aber aus
meinem Mund kommt nur irgendwie „Blubb“.
Also lasse ich mich ziehen. Interessant, wie mein linker Arm als letztes hinter
uns herkommt. Ganz schön tief, der Schnitt durch die Schulter. Ich kann durchgucken.
Ihhh.
Hoppla: und da liegt eine Leiche. Gebrochene Augen, die nach oben
starren. Soll ich mich da jetzt nebenlegen? Hübsch aufgereiht?
„Ich weiß aber nicht, ob ich es schaffe, mit offenen Augen zu sterben!“, gebe
ich zu bedenken.
„Bist du verrückt geworden?“, zischt eine neben mir. Endlich lässt sie
mein Bein los. Dann kann ich ja jetzt … Obwohl: was ist mit Mojserce?
Ich versuche, mich aufzurichten, klappt nicht, drehe den Kopf, klappt,
und ah, da ist er ja, alles gut soweit, dann ist es ja in Ordnung.
„Bleib unten!“
Oh. Jetzt haben sich irgendwelche Blätter zwischen Arm und Schulter
verfangen. Da, wo jetzt nichts ist. Wie sieht denn das aus? Irgendwie total
ekelig, ich glaub, ich muss kotzen.
„Bleib wach, hörst du?“
Etwas schlägt mir ins Gesicht. Schaut mich vorwurfsvoll an. So blaue Augen.
„Ich weiß echt nicht, ob ich das mit den Augen schaffe!“, erkläre ich
Heidrun nochmal, nur für den Fall.
Und dann–
2) Hexenherz – Glühender Hass
Ein Mann schreit. Dann nur noch Wimmern. Dazwischen laute,
aggressive Stimmen, die dem Ton nach Fragen stellen. Fragen
von denen ich weiß, dass der Mann sie ebenso wenig verstehen
kann wie ich.
Sie wechseln in seine Sprache, aber die Fragen bleiben
unverständlich:
Der Mann war sein Leben lang Förster, hat sich zusätzlich
ein bisschen was mit seinem Geigenspiel dazuverdient. Er
war zu keiner Zeit Staatsangestellter und erst recht nie Spion.
Sie glauben ihm nicht.
Der Mann schreit wieder.
Fast gegen meinen Willen gehe ich in Richtung des Zeltes,
in dem sie ihn festhalten und befragen. Wieder ein Schrei, der
abbricht und in ein Wimmern übergeht.
Als ich die Zeltplane zurückschlage und das Innere betrete,
schaut der Mann zu mir auf. Er liegt auf dem Boden, doch als er
mich erkennt, findet er die Kraft aufzustehen und seine Hände
flehend nach mir auszustrecken.
»Hilf mir, Kolja!«, röchelt er und weint Tränen aus Blut.
3)
Hexenherz – Eisiger Zorn
Noch immer bleibt der
Junge stumm. Das einzige Geräusch,
das er von sich gibt,
ist ein leises Zähneklappern. Mittlerweile
ist es dunkel geworden
und von Osten weht ein eisiger Wind.
Ich kann nichts dagegen
tun.
Als ich es schließlich
für sicher erachte anzuhalten, befinden
wir uns tief in einem
dichten Wald. Es ist bereits so finster,
dass wir schon seit
einer Stunde zu Fuß gehen und die treue
Stute am Zügel führen
müssen. Jetzt reibe ich sie notdürftig
mit meinem Umhang ab,
der Junge schaut wortlos zu.
Ich benutze den Sattel
als Kopfkissen und mache es mir
auf dem Waldboden
bequem, schließe für einen Moment die
Augen. Ich höre, wie
der Junge ein wenig herumraschelt;
wahrscheinlich deckt er
sich, da er keinen Umhang hat und
nur ein dünnes Hemd
trägt, mit Laub zu.
Eine Erinnerung blitzt
in mir auf: Richard und ich, wie wir
eine Nacht im Wald
hinter unserem Haus zelten wollten. Wie
uns das blöde Zelt
gerissen war. Wir haben dennoch nicht eine
Sekunde daran gedacht,
wieder nach Hause zu gehen. Stattdessen
haben wir uns dicht
aneinander gekuschelt und uns
gegenseitig damit
aufgezogen, wer am stärksten zittert. Dann
waren wir
eingeschlafen, warm und voller Glück.
Mit einem Seufzen
schlage ich die Augen wieder auf und
schaue den Jungen an.
„Komm her“, raune ich
und hebe meinen nach Pferdeschweiß
riechenden Mantel. „Du
kannst bei mir schlafen.“
Der Junge gehorcht
wortlos und kuschelt sich mit dem
Rücken an meine Brust.
Ich decke ihn so gut es geht mit dem
Mantel zu. Zwar
betrachte ich, seit ich über das Eis gebieten
kann, die Kälte als
meine Freundin, aber die Wärme des Jungen
erfüllt mich dennoch
mit einer merkwürdigen Behaglichkeit.
Ich liege noch lange
wach und grübele, was ich jetzt machen
soll. Ich habe mich
zweifellos des Hochverrates schuldig
gemacht. Und obschon
mein Herz noch immer der Goldenen
Frau und dem Reich gehört,
bezweifele ich, dass ich je wieder
in den Dienst meines
Landes werde treten dürfen. Bestenfalls
werden sie mir meine
Magie nehmen und mir ein genügsames
Leben als Großmutter
lassen. Ich habe keine Ahnung, was ich
tun soll. Und dann ist
da auch noch dieser Junge, der ohne mich
zweifellos hier in der
Wildnis sterben wird. Er ist noch so klein …
Mein letzter wacher
Gedanke gilt Richard, Rickie, meinem
kleinen Bruder aus
glücklichen Kindertagen. Mit seinem
Lachen im Ohr schlafe
ich ein.
Am nächsten Morgen
wache ich davon auf, dass mir jemand
einen Revolver an den
Kopf hält.
4) Die Tote in der Tränenburg
Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.
Gut, mag nun die eine oder andere denken, das würde vermutlich jede in dieser
Situation sagen. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, kann etwas ziemlich
Schlimmes sein. Jetzt und hier würde ich jede bemitleiden, die in meiner
Situation wäre. Und mir gleichzeitig – nicht bösartig, aber zumindest mit
gerunzelter Stirn – denken, dass diejenige ja schon irgendwie … naja, nicht
selbst Schuld wäre,nein, aber dennoch …
sagen wir … unvorsichtig gewesen wäre.
Ich hätte es besser wissen müssen, weiß die Göttin, und jetzt stehe ich hier
umgeben von lauter Menschen, die mir ans Leder wollen.
Das mit dem „ans Leder gehen“ meine ich übrigens ernst: Vor mir vibriert gerade
ein Türknauf unter der Magie der einen
Hauptverdächtigen, während hinter mir die
andere Hauptverdächtige langsam den Dreh herausbekommt, wie man eine schwere
Eisentür mit Hilfe von Ranken aufbekommt. Ich muss zugeben, dass ich diese Art
der Pflanzenmagie bislang unterschätzt hatte. Immerhin können normale
Pflanzenwurzeln auch Mauerwerk zum Einsturz bringen, wenn sie genug Zeit haben,
nicht wahr?
Und hinter den beiden Damen – da mache ich mir gar nichts vor – stehen noch
weitere Personen Schlange. Beliebt gemacht habe ich mich bei keiner von ihnen,
so viel steht fest, doch nur eine will mich mit Sicherheit töten.
Ich sollte endlich etwas tun – stillzuhalten ist ja auch sonst nicht meine Art.
Ich befinde mich in einem kleinen Zimmer mit zwei Ausgängen, hinter beiden
lauert jeweils eine Hauptverdächtige. Und
ich überprüfe das Fenster nochmals, aber ja, sie halten es mit einer magischen
Sperre noch immer verschlossen. Die Türen werden nicht
mehr lange halten, trotz der Möbelstücke, die ich davorgeschoben habe, Ich muss diesen Raum verlassen, und zwar
sofort. Dafür müsste ich allerdings wissen, wer hinter welcher Tür auf mich
lauert. Ich weiß, welche Frauen gerade die Türen bearbeiten und ich meine auch
zu wissen, wer sich hinter der
jeweiligen zusammengefunden hat. Wer auf wessen Seite steht. Haarfeine
Unterschiede, die jetzt über mein Leben entscheiden werden. Hinter einer der
Türen wartet Hilfe, hinter der anderen mein Tod. Öffne ich die letztere, wird
es zu einem Handgemenge kommen und mein Tod werden sie wie einen tragischen
Unfall, geschehen im Eifer des Gefechts, aussehen lassen.
Ich muss hier raus. Die alles entscheidende Frage lautet also:
Hinter welcher Tür – Glut oder Ranken – wäre ich in Sicherheit?
Oder anders ausgedrückt: Wer hat Verena Konstanze ermordet?
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