Leseprobe
»Liebe auf High
Heels«
Am nächsten Morgen ging die Fahrt los. Zunächst von Hamburg nach Stuttgart mit dem ICE. Das war okay, von Stuttgart aus dann in die Pampa mit dem Bummelzug. Isabella seufzte bei der Aussicht auf sieben lange Stunden Bahnfahrt, nahm sich aber vor, sich davon nicht die Laune verderben zu lassen. Sie war ja schon so gespannt darauf, was Emma sagen würde, wenn sie vor ihr stand. Wie sie wohl lebte? Hoffentlich war die Kleinstadt nicht so spießig, wie sie sich das jetzt vorstellte. Die Fahrt mit dem ICE verlief recht unspektakulär, aber als Isabella sich einen Platz im Regionalzug nach Engeltal suchte, wurde sie von allerlei skurrilen Gestalten beäugt.
Nach weiteren, unendlich langen neunzig Minuten endete die Fahrt
endlich in Engeltal, und Isabella verließ den Wagon. Was sie im nächsten Moment
erwartete, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Ein altes Haus neben dem
anderen, eng aneinandergedrängt, ja fast zusammengebaut, mit Fachwerk und Stuck
säumte den Bahnhofsvorplatz. Isabella traute ihren Augen kaum: Vor ihr lag eine
Kopfsteinpflasterstraße. Kein ebenmäßiger Straßenbelag, sondern lauter
hinterlistige, ungleichmäßige Steine mit riesigen Furchen dazwischen. Isabella
verdrehte die Augen, hoffte, dass das Café ihrer Freundin nicht allzu weit
entfernt war, und stöckelte mit ihrem Rollkoffer im Schlepptau los. Immer
bergauf und bei jedem Schritt der Gefahr ausgesetzt, sich den Fuß zu brechen.
»Ach, verdammt! Dieses hirnverbrannte Pflaster!« Kaum war sie ein
paar Schritte gegangen, war sie schon umgeknickt und fing sich gerade so auf.
Sie hatte das Gefühl, aus jedem Haus kämen auf einmal die Bewohner und
beobachteten sie. Sie konzentrierte sich auf den Weg, spürte aber ihre Blicke.
Nach ein paar Minuten hatte sie das Gefühl, sicherer zu werden, und versuchte, elegant
die Straße entlang zu laufen. Man wollte sich ja nicht schon bei der Ankunft
blamieren. Sie lächelte die Menschen freundlich an und bekam den einen oder
anderen Gruß zugeworfen.
»Die sind ja hier recht nett, etwas seltsam, aber freundlich«,
dachte Isabella. So anders als in Hamburg. Seit wann begrüßen Fremde einen auf
der Straße? Und wo waren überhaupt die vielen Autos, Reklameschilder,
Kaufhäuser und der ganze Lärm? Ja, es war gespenstisch still bis auf ein leises
Vogelzwitschern, das Rauschen des Flusses, der mitten durch das Städtchen
floss, und der Blätter in den allgegenwärtigen Bäumen. Isabella fand gerade
Gefallen daran, da traf ihr Absatz wieder eine Furche zwischen zwei
Pflastersteinen. Schon lag sie der Länge nach auf der Straße und rieb sich die
Knie.
»Na klasse, ganz großes Kino. Eine Laufmasche in der Strumpfhose,
Kratzer im Schuh und mindestens hundert Menschen, die jetzt die Farbe meiner
Unterwäsche kennen.« Sie schimpfte leise vor sich hin und wollte sich
aufrappeln. Da wurde ihr direkt vor ihrer Nase eine große, gepflegte Männerhand
mit langen, schlanken Fingern entgegengestreckt.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine tiefe Stimme. Isabella hob
den Kopf und sah oberhalb der Hand einen muskulösen Oberkörper, ein markantes
Kinn und strahlende Augen. Dunkelblau wie tiefe Bergseen. Bei diesem Anblick
vergaß sie zu sprechen. Sie konnte nur in diese Augen starren, die von feinen
Lachfältchen umringt waren. »Haben Sie sich verletzt? Geht es Ihnen nicht gut?«
Isabella schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Sie
lächelte und ergriff die immer noch dargebotene Hand. Sie war warm und weich,
als sie sich aufhelfen ließ. Ein wenig widerstrebend zog sie ihre Hand zurück,
dann klopfte sie ihren Rock notdürftig ab.
»Danke, mir ist nichts passiert. Ich bin nur dieses
Kopfsteinpflaster nicht gewöhnt. Können Sie mir sagen, wie ich zum Café
Himmelreich komme?«
Der Fremde lachte. »Na, in diesen halsbrecherischen Schuhen ist
das mit dem Kopfsteinpflaster ja auch kein Wunder. Ich denke eher, unser
Straßenbelag ist solche Schuhe nicht gewöhnt … Zum Café geht es hier einfach
weiter bergauf. Sie können es gar nicht übersehen, wenn Sie zwei Minuten hier
geradeaus gehen.«
Isabella bedankte sich, und machte sich auf die letzten Meter bis
zu ihrem Ziel. Nicht, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Das war ja
wieder klar, dass so ein unwiderstehlicher Typ ihr ausgerechnet in einer
solchen Situation begegnen musste. Das konnte auch nur ihr passieren. Das war
wirklich zu peinlich, selbst für ihre Verhältnisse. Sie lief weiter und
versuchte, möglichst unsichtbar zu sein. Was hier aber nicht einfach war. Sie
fiel auf wie ein bunter Hund.
Zwei Minuten später stand sie vor dem Café
„Himmelreich“ und bewunderte die große Außenterrasse, das liebevoll renovierte,
denkmalgeschützte Gebäude und die Blütenlandschaft, die sich ringsum die
Terrasse erstreckte. Hier spürte sie die Seele ihrer Freundin. Und wie auf das
Stichwort kam Emma in diesem Moment auf die Terrasse heraus. In den Händen ein
Tablett voller Tassen und Gläser, um die Hüften eine cremefarbene Schürze
gebunden. Im Gesicht ihr allgegenwärtiges Strahlen. Als Isabella das sah,
wusste sie, dass es die beste Idee gewesen war, ihre Freundin zu besuchen.
Jetzt würde alles gut werden.
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