»Dich krieg
ich, du Miststück«, murmelte Bella und stieß mit ihrem Skistock rechts von sich
in den Schnee ein um mehr Schwung aufzunehmen. Lisa war nur wenige Meter vor
ihr und wirkte extrem unsicher auf den Brettern. Sie wankte leicht, behielt
aber dann doch das Gleichgewicht. Die anderen der Firma, einschließlich Erik,
waren außer Sichtweite und trafen sich erst beim Schlummertrunk Stunden später
wieder. Schon bald ging auch das Flutlicht, das die Piste beleuchtete, aus, um alles
auf dem Berg dem Dunkel der Nacht zu überlassen. Jetzt! Jetzt ist meine Chance, dieser Schlampe zu zeigen, dass Erik
mein Freund ist.
Sie
überlegte den Gedanken nicht zu Ende, da reagierte ihr Körper bereits und sie
schoss direkt auf Lisa zu, schwenkte ein klein wenig nach rechts, nur um dann
Zentimeter vor ihr vorbeizubrettern. Gerade noch rechtzeitig konnte Bella
bremsen, bevor sie am dicken Baumstamm zerschmettert wäre. Mit klopfenden
Herzen drehte sie sich augenblicklich nach ihrer Kontrahentin um, doch im
ersten Moment sah sie nur den einzelnen Ski, der an ihr vorbei ins Tal sauste.
»Das wird ja
immer besser«, sagte Bella zu sich selbst, grinste, schnallte ihre Ski ab und
steckte diese in den tiefen Schnee, der am Waldrand aufgeschüttet war. Wie auf
Befehl fielen die ersten Schneeflocken vom Himmel; das Schneegestöber wurde gegenwärtig
stärker. Bella musste sich bei einem kurzen Anstieg mehrmals über ihre Skibrille
wischen, ansonsten wäre die Sicht gleich bei null gewesen.
Ein eisig
kalter Wind strich über Bellas Gesicht, als sie die Schneise durch den Schnee
sah, die vermutlich Lisa hinterlassen hatte. Bella hatte bereits die ersten
vorsichtigen Schritte in die Tiefen des Waldes gewagt, da hörte sie ganz in
ihrer Nähe ein Rascheln. Im nächsten Moment ergoss sich eine Ladung Schnee über
ihren Kopf. Verdammt!, fluchte sie im
Gedanken, und hüpfte leicht auf und nieder, um diesen von ihrer Mütze und
Kleidung zu bekommen.
»Hilfe«, vernahm
Bella aus der Ferne und es klang wie Musik in ihren Ohren. Immer tiefer stapfte
sie ins dunkle Ungewisse des
Waldes. Überall hörte sie das Rascheln, das Knacksen von Zweigen. Mal weiter
weg, mal näher bei ihr. Ein Schauer lief ihr kalt den Rücken hinunter, als sie
das Bein sah, das nur wenige Meter von ihr entfernt unnatürlich aus dem Schnee
ragte. Die Hilfeschreie wurden leiser, je näher Bella an Lisa herankam.
Dann
entdeckte sie auch Lisas Körper und das Blut, das aus ihrem Kopf herauslief.
Bellas Herz schlug so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie Angst hatte, es
würde gleich herausspringen. Sie lief auf Lisa zu und griff nach ihrer Hand.
»Du musst
mir helfen«, flüsterte Lisa.
»Ich ...«,
setzte Bella an und erstarrte vor aufflammender Panik. Doch die Eifersucht, die
wie ein Buschfeuer in ihr loderte, griff um sich und erstickte die Angst
augenblicklich. »Du hast dich an meinen Freund rangemacht. Schlampe.«
»Bitte,
Bella. Es ist jetzt nicht der richtige ... Zeitpunkt für einen Streit. Hilf ...
mir bitte. Ich hab so ... furchtbare ... Schmerzen.« Nur mühsam drangen die
Worte aus ihrem Mund.
Der Wind
frischte weiter auf und blies ihr die Kälte direkt in ihr Herz. Wieder
fröstelte Bella und ein Rascheln kam näher an die beiden heran. Bella schaute
sich nach allen Seiten um, konnte aber niemanden entdecken und wandte sich an
Lisa.
»Du blöde
Kuh. Du wusstest genau, dass ich auf Erik stehe, seitdem er bei uns in der
Firma arbeitet. Warum vögelst du nicht mit dem Chef? Als seine Sekretärin hast
du doch besser Gelegenheiten dich bei ihm auf den Schoß zu setzen. Wieso musst
du dich unbedingt an meinen Freund ranmachen?«
Lisa atmete
laut aus. »Erik ist nicht ... dein Freund. Und jetzt ... hilf mir endlich! Was
du ... da für einen ... Unsinn faselst.« Wieder quälten sich langsam Worte aus
Lisas Mund.
»Immer nur
du, du, du. Glaubst du nicht, dass du mich gestern verletzt hast, als du Erik
deine Zunge in seinen Hals gesteckt hast?«
»Das ist
nicht ... wahr, was du ... sagst. Hilf mir endlich.«
»Nein«,
schrie Bella in den Wald hinein und das Echo klang einige Male nach, wie um
ihre Entscheidung zu bestärken. »Verreck doch hier, du Bitch.« Sie fuhr mit
einem Satz hoch und stapfte zurück zur Piste. Die Hilfeschreie hinter ihr nahm
sie nur wie durch Wattebäuschchen in ihren Ohren wahr. Sie sah die Flutlichter,
die immer näher und näher kamen. Schon bald würde sie wieder im Hotel sein, und
Lisa wäre für immer und ewig Geschichte. Erik
ist mein!
***
Stunden
später trafen sich die Arbeitskollegen der Immobilienfirma wie vereinbart an
der Hotelbar. Es war Erik, der die Abwesenheit von Lisa und Bella als Erstes
bemerkte, somit fragte er in die Runde: »Hat jemand Lisa und Bella gesehen? Schlafen
die Zwei schon?« Er lachte und einige seiner Kollegen stimmten mit ein. Nachdem
niemand Genaueres wusste und sie auch nicht auf ihren Zimmern aufzufinden
waren, meldete der Chef die beiden bei der Rezeption als vermisst.
Stunden
später standen Erik die Tränen in den Augen, als er von dem schrecklichen
Unfall hörte, der sich zugetragen hatte. Lisa war wohl von der Piste abgekommen
und an ihren Kopfverletzungen nur kurz darauf verstorben. Bella, die diesen
Unfall wohl beobachtet hatte, wollte vermutlich Hilfe holen. Doch aufgrund der
fortgeschrittenen Tageszeit war die letzte Abfahrt eingeläutet worden. Während
Bellas Fahrt Richtung Tal wurden die Lichter abgeschaltet. Somit sah Bella auch
die Eisplatte nicht, über die sie mit ihren Skiern gefahren war. Meterweit soll
sie durch die Luft geflogen sein, bevor sie mit dem Kopf zuerst gegen einen Baumstamm
prallte und auf der Stelle tot war.
Eriks Hände zitterten. Er hatte beide gemocht und es war schrecklich, wie so manches Leben einfach viel zu schnell vorbei war. Plötzlich nahm Gregor seine Hand und drückte sie fest. Die Ruhe, die von ihm ausging, beruhigte Erik sofort. Schon seit seinem ersten Tag in der Firma hatte Erik ein Auge auf Gregor geworfen. Und anscheinend schien Gregor diese gegenseitige Anziehung ebenfalls zu spüren.
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