Montag, 14. Dezember 2020

[killige & ungemütliche Weihnachten] Eine Kurzgeschichte von Drea Summer

 

»Dich krieg ich, du Miststück«, murmelte Bella und stieß mit ihrem Skistock rechts von sich in den Schnee ein um mehr Schwung aufzunehmen. Lisa war nur wenige Meter vor ihr und wirkte extrem unsicher auf den Brettern. Sie wankte leicht, behielt aber dann doch das Gleichgewicht. Die anderen der Firma, einschließlich Erik, waren außer Sichtweite und trafen sich erst beim Schlummertrunk Stunden später wieder. Schon bald ging auch das Flutlicht, das die Piste beleuchtete, aus, um alles auf dem Berg dem Dunkel der Nacht zu überlassen. Jetzt! Jetzt ist meine Chance, dieser Schlampe zu zeigen, dass Erik mein Freund ist.

Sie überlegte den Gedanken nicht zu Ende, da reagierte ihr Körper bereits und sie schoss direkt auf Lisa zu, schwenkte ein klein wenig nach rechts, nur um dann Zentimeter vor ihr vorbeizubrettern. Gerade noch rechtzeitig konnte Bella bremsen, bevor sie am dicken Baumstamm zerschmettert wäre. Mit klopfenden Herzen drehte sie sich augenblicklich nach ihrer Kontrahentin um, doch im ersten Moment sah sie nur den einzelnen Ski, der an ihr vorbei ins Tal sauste.

»Das wird ja immer besser«, sagte Bella zu sich selbst, grinste, schnallte ihre Ski ab und steckte diese in den tiefen Schnee, der am Waldrand aufgeschüttet war. Wie auf Befehl fielen die ersten Schneeflocken vom Himmel; das Schneegestöber wurde gegenwärtig stärker. Bella musste sich bei einem kurzen Anstieg mehrmals über ihre Skibrille wischen, ansonsten wäre die Sicht gleich bei null gewesen.

Ein eisig kalter Wind strich über Bellas Gesicht, als sie die Schneise durch den Schnee sah, die vermutlich Lisa hinterlassen hatte. Bella hatte bereits die ersten vorsichtigen Schritte in die Tiefen des Waldes gewagt, da hörte sie ganz in ihrer Nähe ein Rascheln. Im nächsten Moment ergoss sich eine Ladung Schnee über ihren Kopf. Verdammt!, fluchte sie im Gedanken, und hüpfte leicht auf und nieder, um diesen von ihrer Mütze und Kleidung zu bekommen.

»Hilfe«, vernahm Bella aus der Ferne und es klang wie Musik in ihren Ohren. Immer tiefer stapfte sie ins dunkle Ungewisse des Waldes. Überall hörte sie das Rascheln, das Knacksen von Zweigen. Mal weiter weg, mal näher bei ihr. Ein Schauer lief ihr kalt den Rücken hinunter, als sie das Bein sah, das nur wenige Meter von ihr entfernt unnatürlich aus dem Schnee ragte. Die Hilfeschreie wurden leiser, je näher Bella an Lisa herankam.

Dann entdeckte sie auch Lisas Körper und das Blut, das aus ihrem Kopf herauslief. Bellas Herz schlug so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie Angst hatte, es würde gleich herausspringen. Sie lief auf Lisa zu und griff nach ihrer Hand.

»Du musst mir helfen«, flüsterte Lisa.

»Ich ...«, setzte Bella an und erstarrte vor aufflammender Panik. Doch die Eifersucht, die wie ein Buschfeuer in ihr loderte, griff um sich und erstickte die Angst augenblicklich. »Du hast dich an meinen Freund rangemacht. Schlampe.«

»Bitte, Bella. Es ist jetzt nicht der richtige ... Zeitpunkt für einen Streit. Hilf ... mir bitte. Ich hab so ... furchtbare ... Schmerzen.« Nur mühsam drangen die Worte aus ihrem Mund.

Der Wind frischte weiter auf und blies ihr die Kälte direkt in ihr Herz. Wieder fröstelte Bella und ein Rascheln kam näher an die beiden heran. Bella schaute sich nach allen Seiten um, konnte aber niemanden entdecken und wandte sich an Lisa.

»Du blöde Kuh. Du wusstest genau, dass ich auf Erik stehe, seitdem er bei uns in der Firma arbeitet. Warum vögelst du nicht mit dem Chef? Als seine Sekretärin hast du doch besser Gelegenheiten dich bei ihm auf den Schoß zu setzen. Wieso musst du dich unbedingt an meinen Freund ranmachen?«

Lisa atmete laut aus. »Erik ist nicht ... dein Freund. Und jetzt ... hilf mir endlich! Was du ... da für einen ... Unsinn faselst.« Wieder quälten sich langsam Worte aus Lisas Mund.

»Immer nur du, du, du. Glaubst du nicht, dass du mich gestern verletzt hast, als du Erik deine Zunge in seinen Hals gesteckt hast?«

»Das ist nicht ... wahr, was du ... sagst. Hilf mir endlich.«

»Nein«, schrie Bella in den Wald hinein und das Echo klang einige Male nach, wie um ihre Entscheidung zu bestärken. »Verreck doch hier, du Bitch.« Sie fuhr mit einem Satz hoch und stapfte zurück zur Piste. Die Hilfeschreie hinter ihr nahm sie nur wie durch Wattebäuschchen in ihren Ohren wahr. Sie sah die Flutlichter, die immer näher und näher kamen. Schon bald würde sie wieder im Hotel sein, und Lisa wäre für immer und ewig Geschichte. Erik ist mein!

***

Stunden später trafen sich die Arbeitskollegen der Immobilienfirma wie vereinbart an der Hotelbar. Es war Erik, der die Abwesenheit von Lisa und Bella als Erstes bemerkte, somit fragte er in die Runde: »Hat jemand Lisa und Bella gesehen? Schlafen die Zwei schon?« Er lachte und einige seiner Kollegen stimmten mit ein. Nachdem niemand Genaueres wusste und sie auch nicht auf ihren Zimmern aufzufinden waren, meldete der Chef die beiden bei der Rezeption als vermisst.

Stunden später standen Erik die Tränen in den Augen, als er von dem schrecklichen Unfall hörte, der sich zugetragen hatte. Lisa war wohl von der Piste abgekommen und an ihren Kopfverletzungen nur kurz darauf verstorben. Bella, die diesen Unfall wohl beobachtet hatte, wollte vermutlich Hilfe holen. Doch aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit war die letzte Abfahrt eingeläutet worden. Während Bellas Fahrt Richtung Tal wurden die Lichter abgeschaltet. Somit sah Bella auch die Eisplatte nicht, über die sie mit ihren Skiern gefahren war. Meterweit soll sie durch die Luft geflogen sein, bevor sie mit dem Kopf zuerst gegen einen Baumstamm prallte und auf der Stelle tot war.

Eriks Hände zitterten. Er hatte beide gemocht und es war schrecklich, wie so manches Leben einfach viel zu schnell vorbei war. Plötzlich nahm Gregor seine Hand und drückte sie fest. Die Ruhe, die von ihm ausging, beruhigte Erik sofort. Schon seit seinem ersten Tag in der Firma hatte Erik ein Auge auf Gregor geworfen. Und anscheinend schien Gregor diese gegenseitige Anziehung ebenfalls zu spüren.

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