Killige Weihnachten
Die Autorin, nicht im Krimi-Genre, sondern jenem der Best-Age-Lit beheimatet, starrt auf das vorgegebene Motto: ‚Killige Weihnachten‘.
Ein kurzer Exkurs zu Onkel Google hilft auch nicht weiter. Im Gegenteil, der forschende Geist wird in schwedische und niederländische Sprachniederungen in die Irre geführt.
Also gut, Ahnungslosigkeit zugegeben und die Urheberin des Slogans befragt. – Aha, die Darstellung eines richtig fiesen Weihnachten, eines möglichst unangenehmen Festes wird erwartet.
Sich mühselig in schönere Kleidung zu zwängen, zu Eltern, Großeltern oder Kindern zu fahren, um dort das ewig gleiche Essen – schließlich muss man Traditionen wahren – in sich hinein zu schlingen. Begleitet von Tischgesprächen, die zeitweise zur Inquisition ausarten, oder Vorhaltungen, deren Vehemenz mit den Jahren zu wachsen scheint, und Belehrungen, die salbungsvoll wie von einem Geistlichen vorgetragen werden. Animositäten, die sich im Rudel verstärken und sich zuletzt zu Wortkaskaden, um nicht zu sagen zum Brüllen, zu steigern. – Alles höchst unangenehm.
Doch fies wird es erst, wenn bewusst verhasste oder unverträgliche Gerichte aufgetischt und verachtete oder lieblos ausgesuchte Geschenke überreicht werden. – Noch fieser ist es, wenn verbale Auseinandersetzungen in körperlichen münden und an den nachfolgenden Tagen die Spalten der Zeitungen füllen. Jene Blätter, die gleichzeitig diverse Kommentare einschlägiger Fachleute wie Psychologen, Lebensberater oder Mediatoren neben Statistiken, erhellend oder verwirrend wie stets, abdrucken. – Am fiesesten jedoch ist es, wenn alle Festtagsgäste sich mehr oder minder freundlich, konziliant, verständnisvoll, dankbar und freudig geben und trotzdem einige davon nach ein paar Tagen in das Raster ‚Killige Weihnachten‘ fallen. Weil nämlich ein 60 – 120 Nanometer kleiner, unsichtbarer Gast mitfeierte. Sein Name: SARS-CoV-2 oder Covid-19. Es ist dies jener Schuldige, der die weltweite Corona-Pandemie ausgelöst hat und jetzt ‚Zehn kleine Negerlein‘ featuring Agatha Christie spielt. Oh, pardon, der Titel ist politisch inkorrekt, daher also ‚Und dann gab’s keines mehr‘, wobei bei den Zahlen noch einige Nullen anzufügen wären.
Und doch beschleicht die Autorin das Gefühl, dass die Basis des Mottos selbst auf brüchigen Füßen steht.
Lebkuchenberge im August.
Im September Swimming-Pool- und Grill-Zubehör im Ausverkauf neben ersten Weihnachtsplakaten.
Im Oktober dann hoch aufgetürmtes Xmas-Sortiment der glitzernden und/oder kitschigen Fraktion, made in Fernost, neben das sich in den Regalen eigentümliche Modekreationen, echte und falsche Kürbisse, urige Hexen auf Besen mit einer buckelnden Chat noir auf der Schulter und an Seilen fliegende Raben gesellen – künstliches Blut und grelle Kosmetika für schaurige Schminkorgien noch gar nicht erwähnt. Und ganz zu schweigen von der Faszination, wie viele Lebensmittel sich in Halloween-Optik verwandeln lassen. – Zeitgleich, doch fast verschämt an weniger prominente Verkaufs-Plätze verbannt, stehen LED-Kerzen für draußen, Öllichter für mehrtägige Brenndauer, niedliche Engel mit gebeugtem Kopf und trauriger Miene und grauweiße Steine in unterschiedlicher Größe mit schwarz gravierten Inschriften wie ‚Unvergessen‘, ‚Zur Erinnerung‘ oder ‚Zum Gedenken‘. Nur in den Gartenabteilungen herrscht Highlife wegen Allerheiligen, von der kleinsten bis zur protzigsten Gabe für die Gräber ist alles zu finden. Doch sollten Käufer Anfang Oktober Zweifel hinsichtlich der Haltbarkeit der angebotenen Ware befallen, dann können dies wohl nur Kleingeister sein, die den Beteuerungen von Frische und nach Mondstand geerntetem Reisig misstrauen. Schließlich hat man der Zeit und der Konkurrenz immer mindestens einen Schritt voraus zu sein.
Nahtlos übernehmen Anfang November rosa Schweinchen, Marienkäfer, vierblättrige Kleeblätter und Rauchfangkehrer & Co die Halloween-Plätze. – Nikolo und Krampus, mittlerweile zur Minderheit in den Geschäften mutiert, fristen ein trauriges Rest-Dasein. Von Political Correctness und pädagogisch Irregeleiteten fast ins Exil getrieben, finden sich immer weniger Käufer für die weiß-hellen und rot-grellen umhüllten Schokofiguren. Symbole fürs Gute und Böse, für Lob oder Tadel sind heutzutage unerwünscht. Nivellierung in allen Bereichen.
Mitte November sind es noch über 5 Wochen bis Weihnachten. Das bedeutet circa 40 Tage, die noch zusätzlich gefüllt werden müssen: Mit Adventmärkten, karitativen Events oder speziellen Aufführungen. Schließlich kommt zwischen Punsch- und Glühwein-Sauferei so richtig besinnliche Stimmung auf, vor allem wenn so altbekannte Weisen wie ‚Jingle Bells‘, Driving Home for Christmas‘, ‚Rudolph, The Red-Nosed Reindeer‘ oder ‚Last Christmas‘ aus den Lautsprechern die Menschenmenge beschallen.
Bis dann am 24.12. um 15 Uhr die Geschäfte schließen, bricht zwar der Hl. Abend an, doch Besinnlichkeit, Innehalten, Feierstimmung und stille Freude schaffen es kaum mehr, den Alltag, die wochen-, ja monatelange Konfrontation mit dem Thema Weihnachten, salopp modern häufig auf Xmas reduziert, den Lebensfrust und die Schicksalsenttäuschung zu vertreiben. Von einer Rückbesinnung auf den Ursprung, die Geburt Christi oder – weniger religiös betrachtet – die Wintersonnenwende, sind alle meilenweit entfernt. Das Klingeln der Kassen, ein Ziehen der Verkaufsbilanz, der Stress, die Müdigkeit, Verzagtheit oder eventuell auch Hoffnungslosigkeit sind präsenter, drängender. Oder aber die Konzentration auf die nächste Unterhaltung – Party in Gruppen oder Flucht in Bücher voller moderner Märchen – , den kommenden Spaß – egal, ob Indoor oder auf der Piste – und die anstehende Mehrarbeit – Umtausch, Geldgeschenke bzw. Gutscheine lassen grüßen – befallen den Geist.
Nichts als Leere in den Herzen, nur oberflächliche Gefühle. Keine tiefen Gedanken, da die Antworten auf die möglichen Fragen zu schmerzhaft wären. Und Seelen, die irgendwo verloren gingen, in der trügerischen Konsumwelt, im World Wide Web, einer modernen Erziehung oder schlicht in einer Umwelt, die Individualismus und Persönlichkeit geringschätzt.
Eine zynische Sichtweise? Vielleicht, doch mit einem großen Korn Wahrheit.
Mit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Buckel, stimmt das Wissen, dass das Weihnachten von früher, der Kindheit, längst gestorben ist, melancholisch, traurig und resignativ.
Weihnachten wurde über die Jahre getötet, gekillt, still, leise und beschleunigt von der Globalisierung und Digitalisierung. Übrig bleibt eine Hülle der Oberflächlichkeit, Heuchelei und Scheinheiligkeit.
„Frohe Weihnachten“! „Merry Christmas!“
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