Sonntag, 19. Juli 2020

[Reihenvorstellung] Tiranorg

  


Reihenvorstellung 

Heute treffe ich mich mit Judith M. Brivulet, um mit ihr über ihre Reihe „Tiranorg“ zu sprechen.

Hallo, danke, dass du heute Zeit hast, um mit mir über deine Reihe zu reden. 
Hallo Claudia, ich bedanke mich bei dir, dass du dich für meine Bücher interessierst.
Kannst du uns deine Reihe, bestehend aus den Teilen „Tiranorg: Schwertliebe“, „Tiranorg: Schwertmagie“ und „Tiranorg: Schwertverrat“ mit wenigen Worten vorstellen? 
Im Land Tiranorg leben vier unterschiedliche Elfenvölker. Sie respektieren die jeweiligen Gebietsgrenzen, wollen aber nichts miteinander zu tun haben: Es handelt sich um die kämpferischen Graselfen, die magisch geschulten Waldelfen und die zurückgezogen lebenden Bergelfen. Außerdem soll es einmal die Meerelfen gegeben haben, aber viele tun es als Mythos ab. Was sie alle nicht wissen: Im Verborgenen erstarkt ein uralter Feind: die Arsuri, Schwarzmagier und Anhänger eines Schlangenkultes. Sie trachten nach der Herrschaft über das ganze Land. Als Esmanté D´Elestre von Orks schwer verletzt wird und ein ominöser Waldelf ihr Leben rettet, nimmt das Schicksal seinen Lauf ...
Deine Charaktere wachsen mit ihren Aufgaben, entwickeln sich weiter, bestehen so manche Situation. Fällt es dir leichter sie durch einfache, lustige oder durch schwierige, düstere Zeiten und Situationen zu führen?
Dazu muss ich sagen, dass ich eine „Bauch“- Schreiberin bin. Soll heißen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen ich sehr intensiv schreibe, lebe ich mehr oder weniger mit den Figuren. Dann ist es fast egal, ob die die Situation nun für sie unbeschwert oder düster ist. Gerade in „Tiranorg, Schwertmagie“ gibt es aber einen Abschnitt, der für Esmanté, meine Hauptperson, sehr schwierig ist. Dies zu schreiben, stellte mich für eine echte Herausforderung …
Hast du Lieblingsstellen in deiner Reihe, die du uns gerne vorstellen würdest?
Für „Tiranorg, Schwertliebe“ ist das sicher die Szene, in der Esmanté das erste Mal die Große Buche betritt: Nach wenigen Augenblicken hielten wir vor einer unscheinbaren Tür, die sich wie von Geisterhand lautlos öffnete. In dem Raum, den wir betraten, gab es keine geraden Wände. Kräftige Äste schwangen sich in einem kühnen Bogen nach oben. Der Holzboden war nachträglich sorgfältig eingefügt worden. Das Wappen der Gwydd, das magische Auge, zierte die Decke aus Kirschholz. 
Durch zwei Fenster drang Helligkeit in den Raum. Eines zeigte nach Osten, das andere nach Westen. Vor der westlichen Fensterscheibe blieb ich stehen, gebannt von einem besonderen Schauspiel. Die untergehende Sonne schickte zum letzten Mal an diesem Tag ihre Strahlen über den Wald, färbte die Blätter zinnoberrot und dunkelgrün. Mit einem Mal erschien mir das Meer aus Bäumen gar nicht mehr so dunkel. 
»Pass auf!«, flüsterte Loglard, der hinter mich getreten war. 
Das Schauspiel, das sich mir bot, konnte ich kaum in Worte fassen, denn die Sonne hinterließ Gwyneddion ein besonderes Geschenk. Just als die letzten Strahlen verblassten, tauchten an vielen Stellen im Wald, wie winzige Sonnensplitter, Lichter auf. Auch neben mir, auf dem Tisch, entzündete sich von selbst eine Laterne. 
»Das ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe«, hauchte ich. 
»Dies alles ist nicht halb so schön wie du«, wisperte er mir ins Ohr. Seine Arme lagen auf meinen Hüften und ich drehte mich zu ihm um. »Ich liebte dich vom ersten Augenblick an, als du dem Tod näher als dem Leben unter diesem Ork gelegen hast, mein Golddrache.« Weich wie Seide legten sich seine Lippen auf die meinen. Ich schmiegte mich an ihn, streichelte seine Wangen und den Bart. 

Bei „Tiranorg, Schwertmagie“ liebe ich das Opferfest, das zu Ehren der Göttin Creydillad in Tyr Abath gefeiert wird: Unbarmherzig brannte die Sonne herab, unbarmherzig schlugen die Trommeln. Mit gesenktem Gesicht und in klirrenden Ketten passten die Gefangenen ihren Gang dem Rhythmus an. Jetzt stoppte der Zug am westlichen Tor. 
Aonghas stand mit Cathal an der Brüstung im ersten Stock des Tordurchgangs und überblickte das Geschehen. Creydillad die Große zwingt jedem ihren Willen auf, dachte er nicht ohne Bewunderung. 
Zwei Pförtner richteten sich angesichts des Festzuges zu ihrer vollen Größe von über zehn Fuß auf. Unartikulierte Laute verließen die breiten Mäuler, wodurch die Ohrläppchen, die mit einem Ring durchstoßen waren, sich über den Schultern verzogen. Unter spitzen Schnäbeln, die denen von Papageien glichen, zeigten sich Reihen messerscharfer Zähne. Jeder Pförtner hob seine vier Arme, die vier Finger an jeder Hand wiesen nach außen. Sie standen auf kräftigen, krummen Beinen. Niemand hätte vermutet, wie schnell sie damit laufen konnten. Schon so mancher Gefangene hatte diesen Irrtum mit dem Leben bezahlt. 
Vorfreude kribbelte im Bauch des Hochmeisters, als die ersten Lauten und Schellen erklangen. Der Anblick der Tänzerinnen war immer erhebend. Aonghas gratulierte sich dazu, diese alte Tradition wiederbelebt zu haben. Unglaublich, wie viele Mädchen sich trotz des Risikos dazu entschieden, dem Orden zu dienen. Und jede von ihnen war eine Augenweide. 
Die zwölf jungen Elfen erwarteten den Zug mit lächelndem Gesicht. Alle trugen nur ein knappes Seidentuch um die Hüften, gehalten von einem dünnen geflochtenen Gürtel. An den Ohren baumelten große, glitzernde Ringe; die schmalen Fesseln umschlangen Schellen. Die bloßen Brüste eines jeden Mädchens wippten im Takt der Musik. Zwischen ihnen – Aonghas‘ Blick trübte sich für einen Moment – lag die Schwanzspitze einer Python. Es waren männliche Pythons, kleiner und leichter als die weiblichen. Der Kopf des edelsten Tieres, das der Hochmeister kannte, ragte über die linke Schulter einer jeden Tänzerin hinaus. Der Schlangenleib zog sich über den Rücken und schlang sich ein oder zweimal um die schlanke Taille. 
Die Schlangen wurden gehätschelt und bestens versorgt. Nur die begabtesten Mädchen erhielten eine. Tier und Elfe bildeten eine lebenslange Gemeinschaft. 

In „Tiranorg, Schwertverrat“ gehört der Tanz der Mondfeen zu meinen Lieblingsszenen: Frischer Wind vertrieb den Nebel und die Nieselwolken. Unvermutet tauchte der Vollmond auf. Majestätisch präsentierte er sich zwischen dem kahlen Geäst. Sein goldenes Licht überstrahlte die Sterne. Die Töne der Bombarde geisterten durch die Bäume, umschmeichelten den hellen Streifen, den der Vollmond auf die Lichtung warf. Der Streifen beleuchtete einen Teil des Waldbodens und einen noch unbelaubten Haselnussstrauch. Immer mehr Koadeck stimmten in die Melodie mit ein, manche leise und zaghaft, andere beherzt. Mit einem Mal traute ich meinen Augen nicht. Ein Geschöpf, so ätherisch und filigran, wie ich noch nie eines gesehen hatte, spähte aus dem Mondstreifen, der den Boden berührte. Beinahe hätte ich es nicht bemerkt, denn sein Körper besaß die gleiche Farbe wie das Licht. Weder Kleidung noch Geschlecht waren zu erkennen, nur goldfarbene Augen und ein kleiner Mund. Winzige Ärmchen hoben und senkten sich im Rhythmus der Musik. Dünne Beinchen stießen sich ab, tanzten hin und her in dem Raum, den der Mond beschien. Zu dem ersten Wesen gesellte sich ein zweites, dann ein drittes und schließlich – ich wagte kaum zu atmen – tanzten sieben Geschöpfe selbstvergessen um den Haselstrauch. »Mondfeen«, wisperte Loglard in mein Ohr. »Ich dachte, sie wären nur noch ein Mythos.« Nicht nur mir erging es so. Keiner der Anwesenden, weder Koadeck noch Elfen bewegte sich, oder tat irgendetwas, was die Feen stören könnte. Sie begleiteten das Mondlicht und spielten mit den Klängen der Bombarde. Jegliches Zeitgefühl schwand, ebenso alle Sorgen. Den Mondfeen bei ihrem Reigen zuzusehen, erfüllte mich mit tiefem Frieden und Leichtigkeit. Den einen Augenblick beobachtete ich noch, wie eine von ihnen eine waghalsige Pirouette um einen Haselzweig drehte, im nächsten Augenblick waren sie alle verschwunden – und mit ihnen das Licht.
Wie viel echte Judith steckt in deinen Büchern oder dem ein oder anderen Charakter?
Das ist eine schwierige Frage … Um etwas vorwegzunehmen: Weder fluche ich so wie Esmanté, noch prügle ich mich :) Für Esmanté sind Gerechtigkeit und Hilfe für die Schwachen wichtig. Dinge, die, wie ich finde, in unserer Gesellschaft oft genug zu kurz kommen.
Wenn ich deine Protagonisten, Antagonisten oder auch Nebencharaktere fragen würde. Wie würden sie dich beschreiben?
Also ich habe deine Frage meinen Figuren vorgelegt. Esmanté hat abgewinkt, sie hat leider keine Zeit, weil sie die Gwydd trainieren muss. Loglard ist gerade auf dem Weg zu den Bergelfen, es gibt wieder einmal Streit über Gebietsgrenzen. Schließlich ist nur Wienot, der Wiesenkobold, übrig geblieben. Er brachte mir (verbotenerweise) eine Tasse Kaffee, danach setzte er sich zu mir. „Wie ich Euch beschreiben sollte, Mistress?“ Er legt eine Hand, die einer Pfote so ähnlich sieht, an den Mund. „Auf jeden Fall seid Ihr Ihr fantasievoll. Seit so vielen Jahren arbeitet Ihr an »Tiranorg«, habt Euch auch durch manch Widrigkeiten nicht abbringen lassen, unsere Geschichte zu erzählen. Das nenne ich echte Hingabe. Na ja und außerdem …“, jetzt steht er auf und zwinkert mir zu: „… seid Ihr auch ein kleines bisschen verrückt.“ Kichernd macht er sich aus dem Staub :)
Wann stand die Idee eine Reihe zu schreiben? Stand es von vornherein fest, dass es ein Mehrteiler wird, oder haben die Protagonisten ein Eigenleben entwickelt?
Ja und nein. Bis vor einem Jahr gab es keinen Zweifel daran, dass es von „Tiranorg“ in klassischer Manier nur drei Bände geben soll. Leider musste ich dann im Laufe des Schreibens feststellen, dass es noch einiges zu erzählen gab, was nicht mehr in den 3. Band passte. Deshalb arbeite ich an Band 4 – und es wird der letzte Band sein!
Wann kamen die Titel? Standen die im Vorfeld schon fest, oder entwickelten sie sich im Laufe des Schreibprozesses?
Der erste Titel „Tiranorg, Schwertliebe“ stand von vornherein fest. Es war ja mein Erstling, ich fand ihn toll. Er sollte die Verbindung von Schwertkampf, den Esmanté so verehrt und der Liebe sein, die sie (vielleicht) mit Loglard findet. Ob ich ihn heute noch einmal verwenden würde, kann ich nicht sagen. Die übrigen Titel entwickelten sich im Laufe des Schreibens.
Wer ist denn der Coverdesigner?
Das ist die wundervolle Juliane Schneeweiss. Alle meine Cover sind von ihr. Ich finde, sie ist eine super Designerin.
Bist du mit deinen Covern zu 100% zufrieden, oder würdest du nachträglich noch etwas ändern wollen? 
Bei den Göttern, nein! Ich liebe die Cover. Viele LeserInnen schreiben mir, wie sehr ihnen die Bilder gefallen. Das Cover von „Tiranorg, Schwertliebe“ war sogar schon einmal auf der Longlist des Phantastik Preises, genau wie das Buch selbst.
Zum Abschluss würden mich noch deine Lieblingszitate aus den Büchern interessieren.
„Tiranorg, Schwertliebe“: »Große Scathach, ein ruhmvolles Leben und einen ehrenhaften Tod im Kampf, das ist alles, worum ich dich bitte«, betete ich, wie ich es von Kindesbeinen an gelernt hatte. Danach warf ich den Raben, den Lieblingen der Göttin, mein letztes Stück Speck hin. 
„Tiranorg, Schwertmagie“: »Wir werden Seite an Seite kämpfen.« Ernst wie nie blickten mich die schönsten Augen in ganz Tiranorg an. »Gleichgültig, was passiert.« 
„Tiranorg, Schwertverrat“: Nie mehr sollen die Arsuri Leid und Schmerz über Tiranorg bringen. Dafür verbürge ich mich mit meinem Leben. Atav feal!«
Danke für das Gespräch. 
Liebe Claudia, auch ich bedanke mich für das Gespräch. Ohne so engagierte BloggerInnen wie dich, wäre es gerade für eine Indie-Autorin wie mich sehr schwierig, auf die eigenen Bücher aufmerksam zu machen.

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