An der
Ecke, an der wir uns etwa zwei Stunden zuvor getroffen hatten,
verabschiedete sich Milena von uns. Sie lächelte gequält und hielt sich die
rechte Seite. Ihre kurzen blau lila Haare waren ergraut, was dem herabfallenden
Staub nach der Implosion des Portals geschuldet war. In ihrem rundlichen
Gesicht bildete sich ein Bluterguss unterhalb ihres linken Auges.
»Lass deine Wunden versorgen und schon’
dich die nächsten Tage«, rief ich ihr hinterher. Sie hob eine mit Ringen
besetzte Hand. Ich bemerkte Alexandras Seitenblick und wandte mich ihr zu.
»Was ist?«
»Muss ich das wirklich erklären? Dich hat
es am schlimmsten von uns erwischt. Dass du überhaupt aufrecht laufen kannst,
wundert mich.« Sie deutete mit einer Hand auf die Schnitte an meinen
tätowierten Armen.
Ich zuckte mit den Schultern und grinste.
»Ich habe eine gute Selbstheilung. In einer
Woche ist davon nichts mehr zu sehen.«
»Das ist wohl wahr, aber das meine ich
nicht.« Sie verfiel in hessischen Dialekt. »Ich zerbreche mir schon die ganze
Zeit den Kopf darüber, was der Pentarmon mit seinen letzten Worten an dich
gemeint hat, bevor Dino ihn abgefackelt hat.«
Auf Höhe des Marktbrunnens hielt ich inne
und starrte vor mich aufs Pflaster. Das Gift, von dem der Pentarmon gesprochen
hatte, pulsierte durch meine Adern. Sorgte es wirklich dafür, dass ich nicht
mehr lange leben würde und zu dem wurde, was ich am meisten verabscheute – einem
Dämon? Aber da war noch was anderes, das mich beunruhigte. Diese Erschütterung
in meiner Seele, als wäre etwas Mächtiges dort
eingedrungen. Der Schnitt auf meinem Oberarm pochte plötzlich
unangenehm. Mit den Fingern berührte ich die Wunde. Ich verzog das Gesicht und
stöhnte leise. Mein Magen überschlug sich.
Galle sammelte sich auf meiner Zunge. Kurz darauf würgte ich mein spärliches Mittagessen hervor. Mit dem
Handrücken fuhr ich mir über den Mund und richtete mich am Brunnenrand
abgestützt auf.
Einige Passanten – Studenten auf dem Weg
in eine Bar, vermutete ich – verzogen das Gesicht und machten einen Bogen um
uns. Ich suchte mir einen fixen Punkt auf der Rathausfront gegenüber. Die Uhr
zeigte die Viertelstunde. Gleich würde der Trompeter loslegen und die Zeit
verkünden.
»Wusstest du, dass es nicht der Hahn auf
dem First des Rathausturmes ist, der kräht, sondern die beiden Trompeter an der
Uhr«, fragte ich und deutete mit dem Finger auf die Figuren links und rechts.
»Was? Wie kommst du denn jetzt darauf?«,
entgegnete Alex mit einem verstörten Blick.
»Weißt du, dass du wunderschöne braune
Augen hast?«
»Ich mache mir langsam ernsthafte Sorgen,
Vic. Du bist nicht ganz bei Sinnen.« Sie legte mir einen Arm um die Taille.
»Komm, bringen wir dich nach Hause.«
Ich stützte mich dankbar auf ihr ab, denn
ich traute meinen Beinen nicht mehr. Was war nur los mit mir? Mir war
schwindelig und schlecht, als hätte ich mich bis zur Oberkante betrunken. Lag
es tatsächlich an diesem verdammten Gift der Dämonen? Normalerweise haute mich
nichts so schnell aus den Socken. Alkohol vertrug ich gut und Erkältungen oder
eine Grippe hatte ich in meinem Leben nur ein- bis zweimal gehabt. Und das
sollte schon was heißen bei meinen achtundzwanzig Lenzen. Hatte der Kampf mehr
von mir abverlangt, als ich zuerst vermutet hatte?
Aus meinen Gedanken zurückkehrend, sah ich
mich um. Wir waren bereits im Oberstadtaufzug auf dem Weg nach unten. Alex
stützte mich noch immer und ihre Berührung war angenehm. Ich sah auf sie
hinunter, da ich mindestens zwei Köpfe größer war als sie. Der Aufzug kam mit
einem Ruck unten an. Ich löste mich aus ihrem Griff und taumelte vor ihr her.
Mit ausgestrecktem Arm stützte ich mich an der Hauswand ab und kämpfte darum,
mich nicht ein weiteres Mal zu übergeben.
»Vic!«, hörte ich Alexandra rufen.
»Was zur Hölle …?« Im nächsten Augenblick
fand ich mich auf dem Boden wieder. Das Gesicht meiner besten Freundin erschien
in meinem Sichtfeld. Die Leute in der Nähe warfen uns neugierige Blicke zu,
doch keiner half mir. Ärger und Frust stiegen in mir hoch.
Was
wundert dich daran, Bursche? Ihr Menschen seid ein arrogantes und egoistisches
Volk, das vergessen hat, was Nächstenliebe bedeutet.
Wo zum Henker kam diese Stimme auf einmal
her? Ich starrte in Alex’ braune Augen. Sorge und Angst mischten sich darin.
Langsam stemmte ich mich auf die Füße. Sofort war sie wieder an meiner Seite
und stützte mich.
»Halt nur noch ein wenig durch. Wir sind
gleich da.«
»Bring
… mich …«, presste ich hervor. »Bring mich z-zum Gefallenen.« Er war der
Einzige, der mir jetzt am ehesten helfen konnte. Aus einem Impuls heraus zog
ich den Ärmel meines T-Shirts nach oben und betrachtete die Wunde, der ich diese
ganze Misere verdankte. Die Hautränder hatten sich gelblich verfärbt und das
auf dem kopfstehende Kruzifix-Tattoo zerstört. Die Verfärbung zog sich weiter
über den Arm bis hinunter zu meinem Ellenbogen.
»Verfluchter Dreck.«
»Das sieht nicht gut aus. Mein Auto steht im
Parkhaus«, erklärte Alex. Wir liefen entlang der Einbahnstraße, vorbei an der
Touristen-Info, einigen Geschäften
und einem Dönerladen und erreichten endlich das Oberstadtparkhaus am
Pilgrimstein. Dieses Gift war nicht von normaler Natur. Es brannte sich in
meine Adern. Wahrscheinlich war ich bereits in der Hölle und verbrannte
innerlich im Fegefeuer. War das die Strafe für meine Schuld? Ich bezweifelte
es. Aber das Schicksal ging nun einmal seltsame Wege. Wenn ich die Sache
überlebte, dann würde ich mich zur Feier des Tages ordentlich betrinken. Ich
zog die Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und fischte eine Kippe mit den
Lippen heraus. Sobald sie angezündet war, nahm ich einen tiefen Zug und stieß
den Rauch zufrieden seufzend aus. Wenn ich
sterben musste, dann wenigstens mit Genuss.
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