Prolog
Sie wusste weder, wie sie hierhergekommen war, noch, wo sie sich befand. Es schien ihr, als habe sie plötzlich in diesem dunklen, vom Kerzenlicht nur spärlich erleuchteten Raum gestanden. Jede Erinnerung an die Zeit davor war verschwunden.
Nachdem ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie sich um. Auf dem Boden lagen dicke, weiche Teppiche, an den holzgetäfelten Wänden hingen goldgerahmte Gemälde und um mehrere runde Tische gruppierten sich wuchtige braune Ledersessel.
Das Zimmer mit seiner vornehmen Ausstattung schüchterte sie ein. Sie wunderte sich, dass niemand hier war, obwohl in den Wandhalterungen neben der Tür noch die Lichter brannten. Der hintere Teil des Raumes lag dagegen in völliger Dunkelheit.
Bei der Vorstellung, dass dort möglicherweise jemand sitzen könnte und sie beobachtete, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Angespannt lauschte sie in die Finsternis, aber außer ihrem eigenen aufgeregten Herzschlag, der ihr in den Ohren dröhnte, nahm sie nichts wahr.
Um sich zu beruhigen, atmete sie mehrmals tief durch. Ein Geruch nach kaltem Rauch hing in der Luft. Er weckte für einen Augenblick eine leise Erinnerung in ihr, aber noch bevor sie diese in ihr Bewusstsein holen konnte, verschwand sie wieder.
Unschlüssig stand sie da. Sie ahnte, dass sie nicht hier sein sollte, auch wenn sie dieses Gefühl nicht näher erklären konnte. Am liebsten wäre sie geflüchtet. Aber es musste einen Grund für ihre Anwesenheit geben und deshalb beschloss sie zu bleiben.
Sie trat zu einem riesigen ledernen Ohrensessel unweit der Tür. Als sie sich setzte, war ihr, als versinke sie in dem Ungetüm. Gleichzeitig vermittelte ihr dieser Platz ein Gefühl von Geborgenheit. Erschöpft schloss sie die Augen. Erst jetzt spürte sie, wie übermüdet sie war. Trotzdem waren ihre Nerven zum Reißen gespannt und eine seltsame Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Noch während sie darüber nachdachte, was deren Ursache sein könnte, öffnete sich mit einem lauten Knarren die Tür. Erschrocken fuhr sie zusammen und riss die Augen auf.
Doch ihre Angst erwies sich als unbegründet. Nun wusste sie auch wieder, warum sie hier war. Sie wartete auf ihn, den Mann, der lächelnd in der halb geöffneten Tür stand. Endlich war er da!
Vor Freude kamen ihr die Tränen. Sie wollte aufspringen, um zu ihm zu laufen, aber da geschah etwas Seltsames. Von einer Sekunde auf die andere konnte sie sich nicht mehr bewegen, konnte keinen Ton von sich geben. Auch er rührte sich nicht. Keine Regung war mehr in seinem Gesicht. Alles wirkte auf einmal wie eingefroren, so wie auf einer Fotografie.
Verzweifelt bemühte sie sich, irgendetwas zu tun, aber es gelang ihr nicht. Wie ein Nebel legte sich jetzt ein Schleier um seine Gestalt. Je mehr sie sich anstrengte, sein Bild festzuhalten, umso schneller verblasste es vor ihren Augen. Und mit ihm alles um sie herum. Bis nur noch Dunkelheit blieb. Und ihre Sehnsucht …
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