Donnerstag, 15. Oktober 2020

[Schnipseltime] The things you're born to lose & The love you're born to find von Gwendolyn A. Wynter





Mit Matt war es irgendwie lustig, Pech zu haben. Wenn ich allein bin, ärgere ich mich darüber, wenn etwas zu Bruch geht. Zusammen mit ihm konnte ich darüber lachen, während wir den Schaden zu zweit beseitigt haben. Dank ihm war das vergangene Jahr nicht nur stressig, sondern auch schön. So schön, dass ich mich oft gefragt habe, wie ich ohne ihn klarkommen sollte.

Aber eigentlich wird es wie immer sein. Ich werde mich damit abfinden und die Zeit wird kommen, da er keinerlei Bedeutung mehr für mich hat. Aber sein Name wird für immer in meiner Haut verewigt sein.

»Er hat es nicht verdient, bei euch zu stehen«, flüstere ich und wieder verschwimmen die Worte in dem hellgrauen Marmor vor meinen Augen. Ich kann nicht leugnen, dass ich mir an Matts Seite zum ersten Mal wieder wie ein Mensch vorgekommen bin, der mehr wert ist als der Dreck auf der Straße. Bei ihm habe ich Frieden gefunden, wenngleich die Zeit oft knapp war und wir uns selten länger als ein paar Stunden unter der Woche gesehen haben. Selbst an den Wochenenden hatten wir wegen meiner Zusatzschichten in einem Diner meist nur wenige Gelegenheiten, auch einmal etwas zusammen zu unternehmen.

Trotzdem hatte ich das Gefühl, ihn besser zu kennen als die meisten anderen Menschen, die mir irgendwann mal nahe waren. Ich habe nicht wirklich viel Freizeit. Schon gar nicht für eigene Hobbys, aber ich glaube, bei seinen Footballspielen hätte ich gerne zugesehen und ihn angefeuert. Wenn wir Filme angesehen haben, mussten wir keine halbe Ewigkeit darüber diskutieren, wer aussuchen darf, weil wir ohnehin dasselbe ausgewählt haben. Doch es war auch seine Familie, die mein Leben ein klein wenig schöner gemacht hat. Sie haben mich akzeptiert. Als Matts Freundin. Als Mensch. Und jeder von ihnen hat es ein bisschen einfacher für mich gemacht, ein Pechvogel zu sein.

Obwohl ich diese positiven Erinnerungen nicht kaputtmachen will, drehen sich meine Gedanken darum, was ich übersehen habe. Welche Anzeichen hätte ich erkennen und deuten müssen? Hat es Hinweise darauf gegeben, dass er nicht mehr zufrieden ist? Waren es meine Macken und mein Pech, die ihm auf Dauer doch zu anstrengend geworden sind? Oder hat er eine andere kennengelernt? War ich ihm nicht genug? Warum hat er nichts gesagt?

Ich will ihm schreiben, ihm Fragen stellen, mit ihm reden, ihn anschreien. Doch er reagiert weder auf Nachrichten noch auf Anrufe. Seit ich hier bin, unterdrücke ich den Drang, ständig aufs Handy zu schauen. Ich würde ohnehin nur feststellen, dass er sich nicht gemeldet hat. Wenn ich nicht wüsste, dass es ihn wütend machen würde, würde ich seine Mutter anrufen. Fragen, ob sie etwas weiß. Ich grabe meine Hand ins Gras, weil mich schon wieder das Verlangen überkommt, ihre Nummer zu wählen und seinen Ärger zu ignorieren.

Leise Stimmen in meiner Nähe reißen mich aus den Gedanken und ich sehe mich um. Zwei ältere Frauen in beigefarbenen Mänteln gehen den Pfad hinab zu den hinteren Gräbern. Als sie an mir vorbeikommen, nicken sie mir zu. Wir kennen uns seit Jahren vom Sehen. Ich folge ihnen mit den Augen, bis ihr Geplauder in der Ferne verstummt.

In den Monaten nach der Beerdigung war meine Familie ein paar Mal hier, doch seitdem pflege ich das Grab. Ich weiß, dass sie es nicht ertragen hierherzukommen – und dass sie sich wünschen, ich würde hier liegen. Es gibt keinen Tag, an dem ich es mir nicht auch wünsche, dennoch quält mich der Gedanke, dass der Grabstein einfach nur Moos ansetzen würde, wenn ich nicht wäre.

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