Claudia:
Hallo und herzlich willkommen zu diesem
Interview. Es freut mich, dass du Zeit hattest vorbei zu kommen und dich meinen
Fragen zu stellen, liebe Esther.
Esther: Gerne, ich freue
mich, hier zu sein. Danke für diese Gelegenheit, Kaleb vorzustellen.
Claudia:
Oh, toll du hast auch einen deiner
Hauptprotagonisten mitgebracht. Grüß Gott, Bruder Kaleb.
Kaleb: (verneigt sich
stumm, die Hände in den Ärmeln der Kutte. Setzt sich.)
Esther: Gleich zur
Vorwarnung: Kaleb ist nicht besonders gut im Beantworten von Fragen. Überhaupt
habe ich bei der Überarbeitung des Buches mindestens die Hälfte seiner
Redetexte streichen müssen, weil er einfach sehr wortkarg ist.
Claudia:
Es freut mich wirklich außerordentlich
euch zu treffen. Also gleich einmal zur ersten Frage: Wie geht es euch heute?
Kaleb: Gut.
Esther: Wunderbar. Ich habe
gerade eine Woche Urlaub hinter mir, in der ich an meinem neuen Projekt
arbeiten konnte – eine ganz andere Geschichte, in einer ganz anderen Welt. Eher
Richtung Fantasy – aber wie bei der Zweiten Finsternis geht es mir mehr um die
„kleinen Leute“, nicht um die großen Herrscher, Zauberer und Helden.
Claudia:
Trotzdem ist Kaleb ja so etwas wie ein
Held.
Esther: Würde ich auch
sagen. (zu Kaleb) Oder wie siehst du das?
Kaleb: Ich tue, was
notwendig ist.
Claudia:
Esther, wie kamst du auf die tolle Idee
mit diesem doch eher düsteren Setting? Ich habe da ja so meine eigenen Ideen,
auf welche Filme oder Serien du anspielen willst.
Esther: Tatsächlich lasse
ich mich oft von Filmen inspirieren. Was mir missfällt, verändere ich, und was ich
mag, versuche ich besonders herauszuarbeiten. In diesem Prozess entsteht dann
eine völlig neue, eigenständige Geschichte. Bei der Zweiten Finsternis war es die
Figur des Kaleb und die Grundstimmung, die mir besonders wichtig waren. Ich
selber würde die Stimmung übrigens eher als melancholisch bezeichnen.
Claudia:
Kaleb, hältst du dich für melancholisch?
Kaleb: Nein.
Claudia:
Dir wird ja eine ganz spezielle Rolle in
dem Buch zu Teil. Warum wird der Klerus so hochgestellt oder anders gefragt,
wie wichtig ist die Rolle des Klerus tatsächlich im Kampf gegen diese Gefahr?
Kaleb: Wir Erwählten sind
die einzigen, die sich den Reapern entgegenstellen können. Das ist unsere
Aufgabe.
Esther: Da die Reaper
telepathisch sind, braucht es besondere geistige Fähigkeiten, um gegen sie
kämpfen zu können. Die Erwählten sind aus genetischen Versuchen mit der
Reaper-DNA hervorgegangen und können ihre Gedanken abschirmen. Sie haben sich
in zwei Klassen geteilt: den Hochklerus, der die Macht in den Städten hat, und
die „niederen“ Mönche, die zum Kämpfen gezüchtet und ausgebildet werden.
Claudia:
Kaleb, hast du ein Problem damit, dass du
aus einem Zuchtprogramm hervorgegangen bist?
Kaleb: nein.
Claudia:
(nach einer Pause) Möchtest du dazu noch
mehr sagen?
Kaleb: Es war notwendig.
Esther: (verdreht die
Augen) Das ist ein Teil des Settings. In Zeiten der Not verschiebt sich die
Moral. Der Mensch tut, was zum Überleben nötig ist, und rechtfertigt es
irgendwie. Ob das OK ist, muss der Leser für sich selbst entscheiden – und in
den Kommentaren zum Buch gehen die Meinungen dazu auch auseinander.
Im Grunde sind die meisten Geschichten – gerade im Bereich von
Fantasy und Science Fiction – so etwas wie Sozialexperimente. Man erschafft als
Autor ein bestimmtes Umfeld und beobachtet, wie sich Figuren und Gesellschaft
darin entwickeln.
Claudia:
Also haben Figuren tatsächlich ein
Eigenleben?
Esther: Wenn die Figur
„dreidimensional“ ist, wie es so schön heißt, dann kann man sie bestimmte Dinge
einfach nicht mehr tun lassen, weil es sich schon beim Schreiben „falsch“
anfühlt. Nicht mal für ein Interview. (Wirft Kaleb einen bösen Blick zu)
Claudia:
Wie kann man sich denn diese Reaper
vorstellen? Diese Wesen klingen ja gruselig und gefährlich.
Esther: Im Grunde sind es
schwarze Drachen ohne Flügel. Bei ihrer Geburt sind sie etwa so groß wie ein
Schäferhund, aber sie wachsen bis zu ihrem Tode – und niemand weiß, wie alt so
ein Reaper werden kann. Der Reaper, der Kaleb in Raffaels Hütte gegenüberstand,
war in etwa sechzig Jahre alt und so groß wie ein Kleinbus. (zu Kaleb) Kommt
das hin?
Kaleb: (unbeeindruckt)
In etwa.
Esther: Und wie gesagt, Reaper
haben bestimmte geistige Fähigkeiten. Das hat zwei Wirkungen: Zum einen können
sie die Absichten eines Gegners im Voraus erkennen, und zum anderen können sie
ihre geistigen Kräfte auf einen einzigen Punkt ihres Körpers konzentrieren, so,
wie buddhistische Mönche es tun. Dadurch – und durch ihre Schuppen – werden sie
praktisch immun gegen punktuelle Waffen wie Messer oder sogar Kugeln.
Claudia:
Kaleb, wie kann man nur gegen diese Wesen
kämpfen und ihnen nicht unterlegen sein?
Kaleb: Mit Disziplin und
Fokus.
Claudia:
Aber hast du keine Angst, wenn du ihnen
gegenübertrittst?
Kaleb: Wenn Menschen auf
dich zählen, musst du funktionieren. Angst hilft da nicht weiter.
Esther: (lächelt) Ah, er
taut auf.
Die Schwäche der Reaper ist, dass sie trotz all ihrer geistigen
Fähigkeiten Tiere sind, also eher instinktgesteuert, und nicht über die
menschliche Form von Intelligenz verfügen. Dadurch sind sie manipulierbar –
wenn man über die Fähigkeiten eines Erwählten verfügt. Das ist schwer zu
erklären, das muss man miterlebt haben. Ich beschreibe einen solchen Kampf
relativ früh im Buch.
Claudia:
Wie kamen die Reaper eigentlich auf
unsere Welt? Und gibt es eine Vorgeschichte zu dem Orden, wo du Mitglied bist?
Esther: Die Reaper entkamen
aus einem havarierten Raumschiff. Da der Absturz irgendwo in der kanadischen
Wildnis stattfand, konnten sie sich unbemerkt vermehren, und als den Menschen
klar wurde, was da passiert ist, war es schon zu spät. Viel mehr wird im Buch
eigentlich auch nicht dazu gesagt – der Fokus liegt ganz darauf, wie die
Menschen mit der neuen Situation fertig werden. (Zu Kaleb) Die Frage mit dem
Orden ging an dich.
Kaleb: Laut den Lehren
der Kirche wurde der ersten Erwählte von einer Jungfrau geboren. Von ihm
stammen alle Erwählten ab. Aber es gibt nicht viele Aufzeichnungen aus der
dunklen Zeit. Wir kennen nicht einmal seinen Namen.
Esther: Ich schon. Aber
das ist eine andere Geschichte, und die soll ein andermal erzählt werden.
Claudia:
Das heißt, du wirst noch einmal mit Kaleb
in die Gegend von Selimsburgh zurückkehren?
Esther: Ideen dazu habe
ich schon. Ich würde eine Fortsetzung gerne dazu verwenden, die Vorgeschichte
näher zu beleuchten, die Entstehung des ersten Erwählten und so weiter. Vom
Handwerklichen wäre es sicher herausfordernd, zwei Zeitebenen so miteinander zu
verschränken, dass trotzdem eine einheitliche Geschichte entsteht.
Claudia:
Um schön langsam zum Ende zu kommen
möchte ich noch eine letzte Frage an euch stellen, nämlich was wünscht ihr euch
für die Zukunft oder was würdet ihr gerne in Zukunft noch erleben wollen?
Kaleb: (schweigt, trinkt
seinen Kaffee).
Esther: (flüsternd) Wir
sollten ihn besser nicht nach Eunice fragen. (Lauter) Ich selbst habe noch
einige Projekte in der Pipeline und wünsche mir eigentlich nur, dass ich es
schaffe, konstant und produktiv daran zu arbeiten.
Claudia:
Herzlichen Dank, dass ihr euch Zeit
genommen habt für dieses sehr aufschlussreiche Interview.
Esther: Ich danke dir –
auch im Namen von Kaleb.
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