Protagonisten - Interview
von Wolfgang Thon
Herzlich Willkommen zum Interview!
[Wir befinden uns im Rosengarten der Familie von Villesen, bei mir befinden sich Auguste und Maria von Villesen und Eik Schmalens]
Wie würden Sie sich in drei Worten selbst beschreiben?
„Zunächst einmal Herzlich Willkommen auf Schloss Villesen, Madame Claudia. Wie mutig, dass Sie in diesen unruhigen und gefährlichen Zeiten das Wagnis auf sich genommen haben, zu reisen.“ Maria von Villesen lächelt und schüttelt dann den Kopf. „Es behagt mir nicht, von mir selbst zu reden, aber …“ Sie seufzt. „Wenn es denn sein soll.“ Sie denkt nach. „In drei Worten? Soviele?“ Sie lächelt. „Pflichtbewusst.“ Sie nickt. „Stolz.“ Sie blickt ihre Tochter an. „Und zäh. Was übrigens für alle Villesens …“
Augusta legt ihr die Hand auf den Arm. „Drei Worte, Mutter.“
„Das waren auch schon drei, Augusta“, mischt sich Eik ein und grinst.
Die beiden Frauen werfen ihm einen tadelnden Blick zu.
„Also gut, kommen wir zu mir“, sagt Augusta. „Mutig. Klug.“ Sie überlegt kurz und sieht Eik an. „Leidenschaftlich!“, sagt sie dann.
Eik verzieht den Mund. „Pflichtbewusst, ach nein, das hatten wir schon.“ Er runzelt die Stirn. „Ruhig. Zielstrebig. Und … loyal.“
Mir ist vor allem eine Szene in Erinnerung geblieben, als Sie Freifrau von Villesen, Cornet Eik Schmalens halfen zu fliehen um seine Familie zu retten. Was bewog Sie dazu, sich in Gefahr zu bringen und warum ließen Sie sich darauf ein?
„Ich muss gestehen, liebe Madame Claudia, in diesem Moment, und Sie spielen gewiss auf die Szene in unserem Schlosshof an, habe ich nur daran gedacht, dass ich unmöglich zulassen konnte, wie Eik … ich meine, einer der Unsrigen von jemandem wie diesem arroganten Rittmeister so brutal behandelt wurde. Und mir gefielen auch seine Pläne nicht, diese sogenannten Feinde des Kaisers in unser Dorf zu verfolgen. Immerhin war Bruchhausen unser Dorf und die Menschen dort unsere Bauern und Handwerker und Arbeiter, und als Gutsherrn können wir nicht nur die Früchte ihrer Arbeit genießen, sondern tragen auch die Verantwortung für jene, die sich unserem Schutz unterstellen. Daran, dass ich in Gefahr sein könnte, habe ich ehrlich gesagt gar nicht gedacht. Und wie wir ja wissen, war es richtig, dass ich Eik Schmalens ermöglicht habe, zum Dorf zu reiten und die Bewohner zu warnen.“ Nach einer kleinen Pause fährt sie fort: „Und auch wenn ich keine persönlichen Gründe für mein Verhalten gehabt hätte, hätte ich wohl bei jedem anderen ebenso gehandelt.“
Was fühlten Sie, Herr Cornet Eik, denn das Ende war gewiss anders geplant?
„Ich war zugegebenermaßen überrascht, dass sich Freifrau von Villesen so konsequent und mutig für mich eingesetzt hat.“ Er verneigt sich in Augustas Richtung. „Vielleicht darf ich Euch an dieser Stelle noch einmal um Verzeihung bitten, Augusta, dass ich jemals an Eurer Aufrichtigkeit gezweifelt habe.“ Er sieht Madame Claudia an. „Und zudem hat mich das Verhalten von Augusta von Villesen zutiefst berührt, auch wenn ihr Mut und meine Bemühungen letzten Endes nichts haben ausrichten können. Aber, wie gesagt, mein Bild von Augusta von Villesen hat sich in diesem Moment doch erheblich verändert.“
Nun zu einem anderen Thema: Sie durften, jeder von Ihnen, große Persönlichkeiten kennenlernen. Welche von diesen ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben und warum?
„Nun, diese Frage kann ich euch sofort und ganz klar beantworten, Madame Claudia.“ Augusta von Villesen hob eine Braue. „Wie Ihr wisst, hat das Schicksal mich ja kurzzeitig nach Paris verschlagen, und ich bin dort in Begleitung von Albert Montfine, dem Marquis de Berny, auch im Palais de Louvre gewesen, dem Hof des französischen Königs. Dort habe ich einen Mann kennengelernt, den ich ganz gewiss nicht so schnell vergessen werde, und ich meine damit nicht den König, falls Ihr das erwartet habt, Madame Claudia.“ Augusta lacht. „Ich meine Kardinal Richelieu. Ich habe dort etliche Männer kennengelernt, die mir den Eindruck zu vermitteln suchten, sie wären die intelligentesten Diplomaten, Politiker oder Militärs Frankreichs. Aber Richelieu hat es geschafft, mich während meiner Gespräche mit ihm immer wieder glauben zu machen, ich wäre der intelligenteste Gesprächspartner, mit dem er sich je unterhalten hätte.“ Augusta wedelt mit der Hand. „Kein Wunder, dass dieser Mann ein so überaus erfolgreicher Politiker und gefährlicher Widersacher ist.“
Eik räuspert sich. „Ich kann zwar nicht mit so vornehmen Persönlichkeiten aufwarten, aber mir ist vor allem der schwedische Gesandte Graf Horn in Erinnerung geblieben, der für Gustav Adolf von Schweden die Verhandlungen mit den Emissären des Kardinals Richelieu führte. Das Verhandlungsgeschick des Grafen hat letztlich dazu geführt, dass Gustav Adolf überhaupt in der Lage war, in dieser kurzen Zeit eine so schlagkräftige Armee aufzustellen, mit der er dem Kaiser so viel Angst gemacht hat, dass der und seine Kurfürsten Wallenstein förmlich angebettelt haben, zurückzukehren und den Oberbefehl über die kaiserlichen Truppen wieder zu übernehmen.“
Wie fühlten Sie sich bei Ihren Reisen, Schlachten und Beobachtungen, welche Sie gezwungen waren mitzuerleben und teilweise nicht eingreifen konnten?
„Es gab etliche Situationen, zugegebenermaßen, in denen ich daran zweifelte, ob ich wirklich das richtige tue.“ Eik reibt sich die Schläfen, als er sich erinnert. „Gewiss, am Anfang war ich machtlos und wollte nur überleben. Und ich war froh, dass ich Leute gefunden hatte, die mir halfen.“ Sein Blick zuckt zu Augusta. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass dieser Krieg einem nicht erlaubt, sich herauszuhalten. Denn wenn man nicht versucht, dafür zu kämpfen, dass es Frieden gibt, dann wird man einfach nur von denen überrollt, die aus vielerlei Gründen an einem Frieden gar kein Interesse haben. Und man braucht einen starken Glauben, wenn man angesichts all der Gräuel und der Schrecken an seiner Liebe zu den Menschen festhalten will. Ich dachte lange, das Schlimmste, wäre gewesen, mitansehen zu müssen, wie meine Eltern starben. Aber jetzt, in der Rückschau, kann ich sagen, dass es noch viel schlimmer war, so viel Leid und Ungerechtigkeiten zu sehen, die im Namen der Religion begangen wurden und bei denen es doch nur um Machtgewinn ging. Und vor allem ist es schrecklich, wenn der ständige Anblick dieser schrecklichen Auswirkungen auf die unschuldige Bevölkerung sogar dazu führt, dass man selbst abgestumpft wird und irgendwann vergisst, warum man diesen Krieg eigentlich führt.“ Eik sieht Augusta an und dann wieder Madame Claudia. „Aber das schlimmste …“, seine Stimme klingt heiser, „war für mich, aus dem Munde von De Lemos zu erfahren, welche Schicksal seine Tochter erlitten hat. Dass ich das nicht verhindert habe, war für mich die schlimmste Erfahrung in diesem Krieg.“
Augusta wischt sich verstohlen eine Träne aus im Auge, bevor sie sich an Madame Claudia wendet. „Ich war ja in einer sehr privilegierten Lage, da ich im Schutze der französischen Gesandtschaft durch dieses Kriegsgebiet gereist bin, und selbst erst am Ende dieser Reise, in Magdeburg, in größte Gefahr geriet. Aber Eik Schmalens hat recht, mit ansehen zu müssen, unter welch grausamen Umständen und unter welch unwürdigen Bedingungen die einfache Bevölkerung ihr Leben fristet und von einer vollkommen enthemmten Soldateska drangsaliert wird, war nur schwer zu ertragen. Ebenso wie das ohnmächtige Gefühl, ihnen letztendlich nicht helfen zu können.“ Augusta hebt die Hände. „Jedenfalls nicht befriedigend. Was nützt einem Bauern in seinem niedergebrannten Hof, wenn man ihm einen Taler in die Hand drückt? Und wenn es nirgendwo im weiteren Umkreis einen Ort gibt, wo er sich von diesem Taler etwas Essbares für sich und seine Familie kaufen könnte?“
Maria von Villesen ergreift das Wort. „Dieser Krieg uns deutlich gemacht, wie hilflos und wie zerbrechlich der einzelne Mensch in diesem Mahlstrom aus Gewalt und Blut ist. Wenn alle Menschlichkeit und Vernunft plötzlich von der Welt verschwunden zu sein scheinen.“ Sie schüttelt den Kopf. „Umso wichtiger war es mir, mich nicht einfach einem Fatalismus hinzugeben und zu sagen, was kann ich unbedeutender Menschen tun, sondern im Gegenteil, meinem Handeln noch mehr als vorher Bedeutung beizumessen und einzugreifen und zu helfen, wo ich kann und sei es auch nur durch eine winzige Geste.“
Glauben Sie an Gott?
„Das tue ich.“ Eik nickt. „Wenn man ansieht, was mit unserem Land geschieht, im Namen der einzig wahren Religion, muss man daran zweifeln, dass das nur Menschenwerk sein soll.“
„Aber bei allem Leid, das Gott uns auferlegt“, fährt Maria von Villesen fort, „dürfen wir nicht vergessen, dass seine Wege für uns Menschen unergründlich sind …“
„Womit sich seine Wege allerdings nur unwesentlich von denen einiger Menschen unterscheiden, die unsere Geschicke steuern“, setzt Augusta von Villesen hinzu, der diese Bemerkung ein missbilligen zwischen ihrer Mutter und ein beifälliges Schnauben von Eik Schmalens einbringt.
Welche Dinge oder Aktionen bereuen Sie am meisten?
„Dass es mir nicht gelungen ist, eine Person zu retten, die ich ursprünglich als Konkurrentin betrachtet, später aber doch zu schätzen gelernt habe“, sagt Augusta. „Und dass ich meinen Bruder Valerian so lange darüber im Unklaren gelassen habe, wer Eik Schmalens wirklich ist.“
„Das ist eine Schuld, mein Kind, die ich ebenfalls auf mich geladen habe und das noch in viel größerem Maß als du.“ Maria von Villesen ringt die Hände. „Es wäre vielleicht vieles anders gekommen, wenn wir in diesem Punkt mehr und früher auf den gesunden Menschenverstand deines Bruders und auf seine Liebe zu seiner Familie vertraut hätten.“
Eik Schmalens hält den Blick gesenkt, als er antwortet. „Was ich bereue, dass ich einen Freund verloren habe, weil ich ihn voreilig verurteilt habe.“ Er seufzt und hebt den Kopf. „Und dass ich den Tod zweier unschuldiger Menschen auf dem Gewissen habe, eine Bürde, die ich den Rest meines Lebens mit mir herumtragen werde.“
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Die drei Personen, Maria von Villesen, Augusta von Villesen und Eik Schmalens sehen sich kurz an und nicken.
„Dass dieser grausame Krieg“, beginnt Eik, unter zustimmendem Nicken von Augusta und Maria, „endlich zu Ende gehen möge, damit die Verwüstung Deutschlands aufhört.“
„Und das Gott all die Unschuldigen beschützen möge“, fährt Maria von Villesen fort, „die in diesen Krieg ohne eigenes Zutun hineingeraten und der grausamen Willkür der Söldner und ihrer Herren ausgeliefert sind.“
„Amen“, sagt Augusta von Villesen und legt ihre Hand auf den Arm von Eik Schmalens.
Herzlichen Dank für das Interview und mögen Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.
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