Was zur Hölle war das? Krachte jetzt womöglich das Dach über ihm zusammen und begrub ihn samt der Schneelast bis zum nächsten Frühjahr unter sich?
Was zum Teufel klopfte da so laut? Und vor allem schrie? War das der Sturm, der in den Dachschindeln pfiff und einen Singsang von sich gab, der hysterischen Frauenstimmen glich? Er musste halluzinieren, dachte Leonardo und schüttelte verwirrt den Kopf. Verdammte Weibsbilder!
Doch das Pochen und Klopfen und auch die verzweifelt klingenden Schreie verhallten nicht. Da musste wohl tatsächlich jemand vor der Tür stehen und nicht nur der Schneesturm an der Hütte rütteln. Leonardo stand auf und schlurfte zur Eingangstür. Er drehte den eisernen Schlüssel im Schloss und drückte auf die Klinke. Eine Böe stieß ihm die Tür entgegen. Schnee stob herein. Und mitten in der weißen wirbelnden Flockenpracht entdeckte er eine Person. War Herr Engel zurückgekommen? Er öffnete die Tür vollkommen, das Bündel Mensch stolperte herein und fiel ihm regelrecht in die Arme. Gerade noch rechtzeitig konnte er genügend Kraft aufbringen, um die Person zu halten und nicht mit ihr hinzufallen. Der Mensch fühlte sich eisig kalt und nass an, deshalb packte er ihn an den Schultern und hielt ihn mit beiden Händen auf Abstand.
»Sie?« Das konnte doch nicht wahr sein!
Die Frau wischte mit dem völlig durchnässten Handschuh die Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah ihn an. »Der Italiener.« Ihre Erkenntnis klang mehr als schmallippig.
»Was zur Hölle treiben Sie da draußen bei diesem Sturm? Und warum hämmern Sie wie eine Irre an meine Tür?« Er kochte vor Wut darüber, dass sie sich anscheinend einer Gefahr ausgesetzt hatte, die sie ihr Leben hätte kosten können. Warum aber war sie bei ihm? Hatte sie keine eigene Bleibe? Er packte sie etwas zu fest und schüttelte sie, als ob sie ein rosa Sparschwein wäre, aus dem die Münzen kullerten, wenn man es nur ausreichend drangsalierte.
»Autsch! Lassen Sie los!« Sie kämpfte sich frei und setzte sofort zu einer Schimpftirade an. »Wie kommen Sie in mein Chalet? Wohnen Sie jetzt etwa auch hier? Warum öffnen Sie überhaupt die Tür, wenn Sie mich so abgrundtief hassen! Hätten Sie mich doch schlicht und ergreifend draußen erfrieren lassen. Lieber gleich tot als von Ihnen zu Tode geschüttelt!« Für Leonardo sah es so aus, als ob sie ihm die Fragen absichtlich an den Kopf warf, weil sie ihn ärgern wollte. Sie fuchtelte mit den Armen, um seine Hände von ihr fernzuhalten. Ihr Zorn brachte sie derart in Rage, dass sie wie wild um sich schlug und er Angst hatte, sie könnte sich damit sogar selbst verletzen.
Leonardo warf die Tür zu, die noch immer offenstand, und drehte den Haustürschlüssel einmal um. Seine Socken waren klitschnass und das ärgerte ihn neben der Tatsache, dass diese lebensmüde, kreischende Frau in sein beschauliches und wohliges Heim geplatzt war, am meisten. »Sehen Sie sich das an! Alles nass! Von Ihnen!« Er deutete auf die Bescherung im Vorraum und seine Socken.
»Und wenn schon. Lieber nass als erfroren«, konterte die Furie und begann damit, das Wasser aus ihren Haaren zu kneten und den Schnee von ihrer Kleidung zu schlagen.
Leonardo drehte sich abrupt um und startete los in den Abstellraum, in dem er einen Wischmob und Eimer entdeckt hatte. Beides holte er nun hervor und drückte es ihr in die Hand. »Hier, wenn Sie damit fertig sind, den Schnee überall zu verteilen, rubbeln Sie den Boden trocken!«
»Das können Sie sich aufmalen!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. Sie herrschte ihn mit funkensprühenden Augen an. Sein Mundwinkel zuckte genauso wie die linke Augenbraue. Obwohl er keine Ahnung hatte, was diese Frau hier eigentlich wollte, so hatte er bis jetzt mitbekommen, dass sie nicht freiwillig bei ihm war. Vermutlich hatte sie sich schlicht und ergreifend im Schneesturm verlaufen.
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